„Wenn ich mit meinen Australischen Freunden zusammen bin und wir von Deutschland sprechen wird von ihnen öfters drei deutsche Eigenschaften hervorgehoben. 1. Die deutsche Qualität. 2. Die deutsche Technik. 3. Die deutsche Strebsamkeit. Ich füge immer hinzu, dass es noch eine vierte deutsche Eigenschaft gibt, nämlich die Angst zum Schreiben. Gemäß meiner Ansicht und Erfahrung, (Es gibt einige Ausnahmen) haben die Deutschen mehr Angst vor dem Schreiben als vor dem Sterben.
Ich erhielt darauf einen Brief von einem Herr Wieman aus Friedrichshafen, den ich mit euch teilen will. – Werner
Friedrichshafen, den 09.02.04
Joachim Wieman
Sehr geehrter Herr Schmidlin,
Beim Stöbern auf der Internetseite der Schwäbischen Zeitung bin ich auf Ihren Leserbrief gestoßen. Er weckte aus zwei Gründen mein Interesse. Da ging es erst einmal um die deutschen Eigenschaften, zu denen ich eine kurze Replik meinerseits schreiben möchte. Die von Ihnen genannten drei Eigenschaften gelten in der Tat weltweit als typisch deutsch.
Leider geraten diese hierzulande immer mehr in Vergessenheit, eine Frucht allzu liberaler schulischer, aber auch politischer Erziehung. Die deutschen Tugenden sind nicht mehr gefragt, sind sie doch dem Tätervolk des zweiten Weltkriegs zugehörig und somit nach 60 Jahren Umerziehung immer weniger im Bewusstsein unserer Jugend vorhanden. Unser staatliches, politisches und kulturelles Niveau, in der Folge wohl auch alsbald das wirtschaftliche, nähert sich immer mehr dem Osteuropas. Ich könnte noch stundenlang über dieses Thema schreiben, vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit. Jetzt will ich noch etwas zu der von Ihnen genannten vierten Eigenschaft sagen. Ich würde diese erweitern und von einer allgemeinen Feigheit sprechen. Die Deutschen sind feige. Auch das scheint mir eine Folge der Umerziehung zu sein.
Wenn sie einem Kind ständig einreden, es sei hässlich, würde nur Böses tun und am besten wäre es in einem Heim aufgehoben, dann wird ein solches Kind auf Dauer kein Selbstwertgefühl entwickeln, kein Stolz, kein Selbstvertrauen, keinen Mut. Genau das hat man, mit tatkräftiger Unterstützung unserer Politiker, 60 Jahre lang getan. Mit Erfolg, eine Nation, die führend war auf allen Gebieten von Wissenschaft, Technik und Kunst, in Industrie, Forschung, Sport und Kultur, führt heute ein Schattendasein, abgesehen von gelegentlichen Sonnenstrahlen in kleinen Nischen. Dem Volk, geknebelt und gegängelt seit Jahrzehnten, immer mit hoch erhobenem Zeigefinger als verbrecherisch getadelt, wurde das Rückgrat gebrochen. Feig, duckmäuserisch, immer zum Amtmann schielend, gibt es sich zufrieden mit billigster Unterhaltung, mit protzirischen PS-Gehabe, ist an Politik und deren gestalterischen Möglichkeiten kaum noch interessiert, verkriecht sich im Wohnzimmer oder lässt auf Partys die Sau raus. Die eigene Meinung wird nur noch im kleinsten Kreis geäußert und man geht jeder Diskussion aus dem Weg. Gehorsam hat man einem Kaiser zugejubelt, ebenso einem Führer und in der DDR den Kommunisten.
Im Westen wurde der Ami mit offenen Armen empfangen und hat Jahr für Jahr immer mehr seiner eigenen Identität hergegeben, um ihm immer ähnlicher zu werden. Ein Deutschland gibt es nicht mehr, ein Multikultmischmasch ist entstanden und mit ihm ein Volk ohne Werte. Und da meinen Sie, der Deutsche sei nur zum Schreiben zu feige. Mit Verlaub, er ist feige.
Aber ich möchte Ihnen mit diesem Brief beweisen, dass es auch welche gibt, die wenigstens noch zum Schreiben Mut haben. Ich hoffe es gelingt mir, denn noch habe ich nichts über den zweiten Grund meines Interesses gesagt. Australien.
Sie haben das wahr gemacht, wovon ich lange geträumt habe und ab und zu taucht der Traum noch mal auf, aber er verblasst altersbedingt. An dieser Stelle wird es Zeit mich vorzustellen.
Ich bin im Jahre 1946 im damaligen Ostpreußen geboren und kam mit Mutter und Großeltern zwei Jahre später nach Sachsen in die russische Zone. Dummerweise haben sich meine Leute dort festgesetzt, natürlich ohne zu ahnen, dass aus dieser Zone ein großes Gefängnis werden würde. So blieb mir als Kind und Jugendlicher nur das Lesen vieler, vieler Bücher, die meinen Wissensdurst und meine Sehnsucht nach der weiten Welt stillen mussten. Ich habe mich immer hinausgeträumt aus der Enge und Beschränktheit der DDR und mein Fernweh wuchs mit jedem Lebensjahr.
Mein Großvater, ein stiller, schweigsamer Mann, erzählte ab und zu einmal etwas von einem seiner Brüder, der noch vor dem Krieg nach Australien ausgewandert war. Vielleicht fließt ein klein wenig Blut davon in meinen Adern. Von 1977 an bemühten wir uns um die Ausreise aus der DDR und nach siebenjährigem Kampf konnten wir diese endlich verlassen. Wir gingen an den Bodensee und mussten nach fünfzehn Jahren Ehe beim Punkt Null neu beginnen, denn wir durften außer dem Handgepäck nichts mitnehmen. Mit fünfzig DM West begann unser neues Leben.
Es fügte sich nach und nach alles zum Besten und mittlerweile sind hier unsere zwei Enkel auf die Welt gekommen, der Große wird 14 und die Kleine 8 Jahre. Jetzt gehen wir hier nicht mehr weg.
Aber manches Mal bereue ich es, dass wir uns hier festgekrallt haben, statt zu versuchen sofort weiter zu ziehen nach Australien zum Beispiel, Kanada oder Neuseeland. In der Wahnsinnsfreude über unsere Ausreise in den Westen haben wir damals nicht daran gedacht. Jetzt sind wir schon zwanzig Jahre hier und wir wollten keine Sekunde lang zurück und wir gehören zu denen, die über die Wiedervereinigung nicht glücklich sind. Alles Dinge, über die Sie im fernen Australien sehr wenig erfahren werden. Aus Ihrer Perspektive wird Deutschland winzig klein sein. So ist es auch und eng dazu. Mir jedenfalls, überall und immer trifft man auf Menschen, nie ist man allein unterwegs, Haus reiht sich an Haus, Ort an Ort und die Natur verschwindet immer mehr. In schnellen zwölf Stunden ist man vom Süden im äußersten Norden angelangt. Wo wäre ich in Ihrem Land nach dieser Zeit? Da hätte ich noch nicht mal ein Drittel durchquert, glaube ich. Es ist diese Weite nach der ich mich auch heute noch sehne. Nun gut, solange man träumen kann bleibt man im Herzen jung.
Jetzt habe ich sicher einigen Blödsinn geschrieben, aber Ihr Leserbrief hat mich zweifach angesprochen und regelrecht meine Antwort herausgefordert und Sie erfahren dadurch, dass es zumindest einen Deutschen gibt, der nicht zu feige ist zu schreiben.
Herzliche Grüße ins ferne Australien,
Joachim Wiemann (Ich habe die Adresse absichtlicht zurückgehalten)
Sonntag, 6. September 2009
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